Küsse im Mittelfeld

März 2023. Leo Meiers "zwei herren von real madrid" handelt im Kern vom Elefanten im Raum der Fußballwelt. Während die Frage, ob es schwule Spieler gibt, bei der Uraufführung in Oberhausen in schrillem Stil in einer ebenso schrillen Bonbonwelt inszeniert wurde, setzt Albrecht Schroeder auf mehr Zurückhaltung. Seine realistische Reduktion fürs Schauspiel Leipzig ist für den Nachspielpreis nominiert.

Ein Gespräch mit Albrecht Schroeder.

Albrecht Schroeder, schon wieder ein Fußballstück? Oder was dachten Sie über "zwei herren von real madrid"?

Albrecht Schroeder: Fußballstücke finde ich gut! Ich habe den Eindruck, die Kombination von Fußball und Theater funktioniert oft prima. Am Theater gibt es ein erstaunliches Fanpotenzial: Es gibt diejenige, die Fußball toll finden, und jene, die ihn verabscheuen. Diese Kombination ist eine super Ausgangssituation, um ein Fußballstück zu machen.

Dass Sie nach dem "Schwalbenkönig" von Stefan Hornbach erneut das "Runde muss ins Eckige" inszeniert haben, störte Sie also nicht?

Albrecht Schroeder: Ich habe das Stück durch Zufall entdeckt, fand den Titel catchy und wollte es lesen. Zudem hat mir das Thema gefallen, weil es so unsichtbar ist. In einer Welt, in der so ziemlich alles existiert, gibt es keine schwulen Fußballprofis? Umso dankbarer bin ich Leo Meier, dass er mit Fußball- und Theatersachverstand dieses Stück geschrieben hat. Es ist ein Geschenk für mich.

Sie haben sich den Text selbst gesucht?

Albrecht Schroeder: Ja. Die Verlage werben auf ihren Social-Media-Kanälen für ihre Neuerscheinung, da hab‘ ich das Stück entdeckt. Daraufhin habe ich mit dem Schauspiel Leipzig besprochen, ob das etwas für uns ist. Denn eine Zweitaufführung weicht ja von der Diskothek-Tradition ab, die auf Uraufführungen setzt.

Die Diskothek ist die Nebenspielstätte des Schauspiel Leipzig, die den Fokus auf neue Dramatik legt.

Albrecht Schroeder: Genau. Uns war klar, dass wir nicht die Uraufführung bekommen. Aber ich hing so an dem Stoff und ich durfte ihn inszenieren.

Wie haben Sie die Produktion entwickelt?

Albrecht Schroeder: Beim Lesen war mir klar, dass es eine klassische Eins-zu-eins-Besetzung werden muss unter Berücksichtigung der Geschlechterrollen. Das hat mich zunächst irritiert, weil ich eine derartige Festlegung ewig nicht mehr in der zeitgenössischen Dramatik gelesen habe. Ich fragte mich, ob man das so machen kann, ob es zeitgemäß ist. Letztlich wurde uns aber klar, dass es nur so geht, dass wir alle Figuren und ihre Aussagen ernst nehmen müssen.

Zwei Herren 2Das Runde muss ins Eckige, aber auch eine Liebe muss ans Licht. © Isabel Machado Rios

Inszeniert man anders, wenn es nicht die Uraufführung ist?

Albrecht Schroeder: Wir kamen nur zwei Wochen nach Oberhausen heraus, die Entstehungsprozesse verliefen parallel. Ich hatte durchaus Angst, dass Oberhausen genau das Gleiche macht wie wir. Ich hatte ja den Blick auf den Text, sah nur eine Möglichkeit, diesen gut zu inszenieren. Schlussendlich war ich froh, dass sie einen ganz anderen Ansatz verfolgten als wir.

Gibt es das Gesetz der ersten Nacht? Oder warum wird neue Dramatik kaum zweitinszeniert?

Albrecht Schroeder: Die Frage stelle ich mir auch. Ich verstehe den Drang, Erster zu sein. So bin ich aufgewachsen, das fing in der Grundschule an und auch im Theater hörte ich immer: Es ist gut, Erster zu sein. Da hieß es: "Wenn du inszenierst, sieh zu, dass es eine Uraufführung ist. Sonst interessiert sich niemand für dich." Aber eine Uraufführung zu machen, ist das eine. Einen Text nie wieder zu zeigen, das andere. Es kann ja nicht sein, dass ein Stück nach einer Spielzeit an einem Haus nie mehr inszeniert wird. Das wird den Stoffen nicht gerecht.

Zumal das Prinzip, Erster zu sein, der Aufmerksamkeitsökonomie folgt. Über die Qualität des Stücks oder der Inszenierung sagt es nichts aus.

Albrecht Schroeder: Nein, natürlich nicht. In der Debatte um Uraufführungen beschäftigt mich auch die Rolle von nachtkritik.de. Von der Plattform profitiert man unwahrscheinlich. Aber befeuert sie nicht auch die Uraufführungsproblematik? Ich habe an vielen Theatern vor allem von Nachwuchsregisseur:innen gehört: Kommt eigentlich jemand von nachtkritik.de? Wenn nicht, haben sie das Gefühl, dass keiner da war, niemand die Inszenierung gesehen hat.

Und die Presse reagiert insbesondere bei noch unbekannten Regisseur:innen eher, wenn es um eine Uraufführung geht. In Eigenregie haben Sie bisher nur neue Dramatik inszeniert – ein Zufall?

Albrecht Schroeder: Das ist eher Zufall. Ich mache mich immer auf die Suche nach Stoffen und habe keinen Rucksack an Klassikern, von denen ich mit meinen 34 Jahren sagen würde, die will ich unbedingt mal auf die Bühne bringen. Daher finde ich es gut, sich umzuschauen. Man muss aber ehrlicherweise auch sagen, dass ich bisher vor allem als Regieassistent gearbeitet habe. Und da schlagen die Häuser die Stoffe vor.

Ist neue Dramatik zugänglicher als ein Klassiker, den man erst wieder erzählbar machen muss?

Albrecht Schroeder: Ich glaube, ich kann das einfach nicht so gut oder ich traue mir das nicht zu. Es gibt Leute, die das unglaublich gut können und als Zuschauer bin ich dankbar dafür. Da sind wir wieder beim Thema Uraufführung: Bei ihr habe ich den Schutz vor der Vergleichbarkeit. Da muss man sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, dass nach Jahrhunderten Theatergeschichte nun jemand zeigen will, wie es gehen soll, und die Weisheit mit Löffeln gefressen hat.

Zwei Herren 3Neunzig Minuten mit Verlängerung – Katharina Schmidt, Matthis Heinrich, Denis Grafe und Wenzel Banneyer © Isabel Machado Rios

Für wie sinnvoll halten Sie Stückwettbewerbe?

Albrecht Schroeder: Ich bin ein kompetitiver Mensch, freue mich über Wettbewerb. Aber das hat sein Für und Wider. Wenn es bedeutet, dass es der Nachhaltigkeit von Texten schadet, weil sie nur einmal aufgeführt werden, dann ist es schade. Aber Wettbewerbe und Stipendien schaffen auch Aufmerksamkeit für Stücke. Sie geben einen Überblick und Zugang zu Sachen, die gerade eine Relevanz haben.

Teilen Sie den Eindruck, dass die Spielbarkeit bei der Wettbewerbsauswahl nicht im Vordergrund steht?

Albrecht Schroeder: Das ist schwierig zu beantworten und ich kann nur aus meiner Wahrnehmung der letzten Jahre sprechen. Natürlich muss sich ein Autor, eine Autorin keine Gedanken um die Spielbarkeit machen. Aber es gibt ein Bedürfnis von Seiten der Spielenden wo es heißt: Wir vermissen Menschen, die uns mal geile Dialoge schreiben. Die uns nicht als Projektionsfläche zurücklassen und nur Textflächen aufsagen lassen. Sie wünschen sich, dass mehr Theater und Szene beim Schreiben mitgedacht werden. Das soll keine Pauschalkritik an der zeitgenössischen Dramatik sein. Ist nicht gerade in Theater der Zeit zu lesen, dass es eine Entwicklung zurück zur Geschichte gibt?

Welche Erwartung haben Sie als Regisseur an einen guten Text?

Albrecht Schroeder: Die Grundkomponenten sind für mich Irritation und Humor. "zwei herren von real madrid" irritiert die ganze Zeit, weil man nicht weiß, worum es geht, und der Text ist so voll gepackt mit sehr gutem Humor und sehr schlechtem. Diese Kombination mag ich. Und ich finde klare Figuren immer besser, als wenn der Text es mir überlässt, was ich mit ihm mache.

Das Gespräch führte Tobias Prüwer.

Zurück zur Übersicht

Kein Recht zu kommentieren