Autor:innenpreis
Lamin Leroy Gibba - Doppeltreppe zum Wald
"Unterhaltung ist unsere Währung". Mit dieser Prämisse werden zwischen moralischen Unklarheiten unterschiedliche Lebensentwürfe in einem safER Space diskutiert und verglichen. Die individuellen Erfahrungen von BPoC (Black and People of Color), die in Deutschland aufgewachsen sind, drehen sich um Identität, Verlust, Rassismuserfahrungen, Empowerment, Sexualität und Verdrängung. Im Puls des Lebens und doch den Tod immer wieder vor Augen, nehmen sich die Personen selbst und gegenseitig als Familienmitglied, queere Person, Künstler*in, Aktivist*in, Freund*in und als Kollektiv wahr – zwischen sexueller Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Unterdrückung. Eine vielleicht glutenfreie Gartenparty.
Lamin Leroy Gibba [er/ihm], geboren 1994, ist Schauspieler, Autor und Filmemacher. Er sammelte erste Theatererfahrungen in der Jugendgruppe des Deutschen Schauspielhauses Hamburg und studierte Schauspiel und Film an der New School Universität in New York. Engagements folgten u.a. am Classical Theater of Harlem, Performance Space New York, Theater Oberhausen, Kampnagel Hamburg, Ballhaus Naunynstraße sowie in Film- und Fernsehproduktionen. Zu den Kurzfilmen, die Lamin schrieb und koproduzierte, gehören FEVER SOURCE und CLOUD ZERO. Zuletzt schrieb er das Drehbuch und spielte die Hauptrolle in dem Film HUNDEFREUND von Maissa Lihedheb, der den ersten Preis beim Internationalen Kurzfilmfestival Berlin gewann, für den deutschen Kurzfilmpreis 2022 nominiert wurde, und unter anderem beim Tribeca Film Festival, BFI Flare Film Festival und im Gropius Bau gezeigt wurde.
Autor:innen und Stücke
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Das Stückporträt: Doppeltreppe zum Wald – Lamin Leroy Gibba
von Stephanie Drees
März 2023. Neun Menschen. Sie kommen aus unterschiedlichen Generationen, sind zwischen 18 und 55 Jahren alt. Zwei von ihnen sind Autor:innen, eine ist Sozialwissenschaftlerin. Auch dabei: ein Architekt, eine Floristin, ein BWL-Student, ein Unternehmensberater, eine Lifestyle-Vloggerin, eine Floristin. Eine Figur ist Historikerin, Aktivistin und Malerin. Der Garten, in dem sie sich treffen, ist eine Art verwunschener Planet, ein Ort, an dem die Gesetze von Raum und Zeit zwar vorhanden sind, die Realität aber hier und da Kippbewegungen macht.
Es scheint eine Zeitschleife zu geben und "Gartenspiegel", die so blenden, dass sie die Horn- und Bindehaut der Augen verbrennen können. Sätze wiederholen sich, die Figuren durchbrechen auf somnambule Weise ihre Alltagssprache: "Schwarzes Mädchen, Schwarzer Junge, Schwarzes Kind, Schwarzes Kind. Ich bin eine große Schwester. Die große Schwester. Die größte Schwester. Alles weich und blau. Weich und blau. Virtueller Einfluss. Konditorei im Wald", sagt Maïmouna, die Floristin. Vielleicht ist es ein Bild aus der Vergangenheit, das sich vor ihrem geistigen Auge zeichnet, vielleicht eine magische Beschwörung an den Ort. Oder beides.
Nächtliche Gehirnodyssee
"Doppeltreppe zum Wald" von Lamin Leroy Gibba ist im Rahmen der Schreibwerkstatt "Unconventional Signs" am Berliner Ballhaus Naunynstraße entstanden. Acht Monate lang haben junge Autor:innen dort Möglichkeiten des postmigrantischen Theaters ausprobiert und kollaborativ an Texten gearbeitet. Lamin Leroy Gibba ist Schauspieler, Autor und Filmemacher. Der Kurzfilm "Hundefreund" von Maissa Lihedheb, für den er das Drehbuch schrieb, gewann 2022 den ersten Preis des deutschen Wettbewerbs beim Internationalen Kurzfilmfestival Berlin. Gibbas Fähigkeit, in Schlaglichtern Figuren sichtbar zu machen, merkt man auch dem Stück an.
Alle Figuren in "Doppeltreppe zum Wald" sind Schwarz, so steht es in der Exposition – und, dass sie von Schwarzen Performer:innen gespielt werden. Ihre Selbstbezeichnung sind "Schwarz", "afro-deutsch", afro-deutsch-amerikanisch, "afrikanisch". Der Anlass für ihr Zusammenkommen: Ein Treffen von "G-S-M-DIDLPAD – Gemeinschaft Schwarzer Menschen die in Deutschland Leben Plus Afrikanische Diaspora”. Kann das hier wirklich die Sitzung eines offiziellen Vereins sein? Oder ist doch alles nur ein nächtlicher Traum, eine nächtliche Gehirnodyssee quer durch die Sprechakte von Social Media, privater, öffentlicher und halb-öffentlicher Kommunikation über Herkunft, Identität, Selbstverortung, (Generationen-)Traumata, Rassismus, Alltagsgewalt und und…?
Kollektive Schwarze Heilung?
Der Text spielt mit Verwirrungen auf verschiedenen Realitätsstockwerken. Er rückt die Sprache, oder besser, den Versuch des gemeinsamen Sprechens, ins Zentrum. Mehr nebeneinander als miteinander sprechen diese Figuren, fallen sich im wahrsten Sinne in die Sätze hinein, brechen sie abrupt ab, hören sich kurz zu – und dann wieder nicht. Alle sind hier sehr mit sich selbst beschäftigt, nehmen sich zwar wahr, aber prallen letztlich aneinander ab. Es scheint, als würden sie Gedanken und Erlebnisse der anderen an sich vorbeiziehen sehen, und dann kurz zu ihnen die Luft greifen, um die eigene Geschichte, den eigenen Schmerz, an ihnen aufzuhängen. "Ich nenne dieses Treffen 'Koloniales Verhängnis' und die Sehnsucht nach gemeinschaftlichen Lösungen: Kollektive Schwarze Heilung in Deutschland”, verkündet Anika, die Sozialwissenschaftlerin, feierlich. Es wird nicht der einzige Versuch von ihr sein, einen Titel zu finden, der – ehrlich, aber ungelenk – Verbundenheit stiften soll, indem er sie behauptet.
Kompendium aus Geschichten
Es ist ein Stück über soziale Rollen, Repräsentationsdruck und auch darüber, wie hart sich in sogenannten Communitys mitunter gegenseitig angegangen wird. Oder auch oberflächlich affimiert. Das kann zutiefst bissig-böse sein. Lennard, der 28-jährige Autor, beäugt kritisch den Vereins-Kuchen ("Ich VERSUCHE mich lediglich in der glutenfreien Community") und dreht Amateur-Pornos mit ausschließlich weißen Männern, "aus den unterschiedlichsten Altersgruppen, kulturellen Backgrounds und auch sozialen Klassen". Bezahlen tut er sie dafür nicht. Alles für die künstlerische "PRACTICE".
Susanne, 55, Historikerin, Aktivistin und Malerin findet: "Wenn man postkoloniale Bücher schreibt und dann trotzdem weiße Menschen heiratet. Das wär ja absurd." Und Anika lässt ihren "weiß gelesenen Sohn" nicht in den Garten-"SafER Space": "Hab ich ihm schon sehr früh erklärt. Hab ihm ganz klar gesagt: "Du hast zwar ne Schwarze Mama aber die Welt denkt, dass du weiß bist und deshalb bedeutet dein Körper Unterdrückung und Gewalt.”
Gleichzeitig haben diese Figuren den Raum, mehr zu sein als Abziehfiguren, deren individueller Schmerz eine Patina bildet. Bei jeder einzelnen fächert sich ein Kompendium aus Geschichten auf, die weh tun, weil klar ist: Sie sind auch in der Realität-Realität alles andere als ungewöhnlich. Sie zeigen auf, was es bedeutet, in dieser Gesellschaft Schwarz UND queer zu sein. Oder erzählen, wie die weiße Freundin der Mutter den eigenen Schwarzen Vater mit einem Gorilla im Zoo vergleicht.
Und ab und an spiegeln sich diese Figuren, ob sie wollen oder nicht. Ab und an verbrennt das Gegenüber die Augen. Aber nicht immer.