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Caspar Maria Russo - draußen ist wetter
Die erste Straßenverkehrsordnung wird im Jahr 2022 in einem Städtchen durchgesetzt. Diese Nachricht schlägt in der WG von dagmar, inga und ronda große Wellen. inga und ronda sind begeistert, weil für sie manche Regeln völlig logisch sind. ronda bringt sich beim Ampelbau ein und erhebt Daten für eine App. inga entwickelt Schwebebettreaktoren zur klimaneutralen Energiegewinnung aus Fleischabfällen, weil die Ampeln brauchen Strom. Die von chronischer Bronchitis geplagte dagmar hingegen boykottiert diese "Bedrohung der Solidargemeinschaft". Sie hat Wichtigeres zu tun: das Kinderzimmer für den baldig erwarteten Familienzuwachs muss eingerichtet werden. Das Problem: ihre Partnerin ronda möchte kein Kind. Für dagmar kommt es noch schlimmer, denn inga macht Karriere und arbeitet für die Bürgermeisterin, ronda will raus aus dieser Ehe und dagmar macht sich große Sorgen um ihre Freiheit. Nur eine Konstante bleibt: die Konversation.
Caspar-Maria Russo wurde 1994 in Eddelsen geboren und war Fußballtrainer, Pizzabäcker, Paket- und Medikamentenbote, Redakteur, Kellner, Jackenrausgeber und Kartenabreisser im Theater. Er ist Sprecher von Hörbüchern, wurde 2017 zum Theatertreffen der Jugend eingeladen und promoviert derzeit über Roger Willemsen und Robert Musil. Für seine Texte erhielt er zahlreiche Stipendien, darunter das Startstipendium für Literatur der Österreichischen Bundesregierung. Er schreibt an seinem Debütroman. draußen ist wetter ist der erste Teil seiner Kommunikationstrilogie, 2022 erhielt er den exil-literaturpreis. Er lebt in Wien.
Autor:innen und Stücke
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Das Stückporträt: draußen ist wetter – Caspar Maria Russo
Mit Vollgas in die Wetterleugnung
von Christian Rakow
März 2023. Die Straßenverkehrsordnung hat in jüngerer Zeit ein ungeahntes dramatisches Potenzial entfaltet. So ganz im echten Leben. Die Forderung nach emissionsmindernden Tempolimits auf deutschen Straßen bringt Stammtische in Wallung. Mit jeder neuen Abgasnorm blüht die Zornesröte auf der Stirn der Wirtschaftsliberalen. Zugleich werden wir daran erinnert, dass solche Maßnahmen eigentlich Peanuts im Kampf gegen die Klimakrise wären, wenn sich tagtäglich junge Menschen der "Letzten Generation" auf den Asphalt kleben. Und für Straßenverkehrsunordnung sorgen.
Es ist also geradezu überfällig, dass sich mit "draußen ist wetter (oder die erfindung der straßenverkehrsordnung)" ein junger Autor dieses Themas auch fürs Theater annimmt. Caspar-Maria Russo, 1994 in Eddelsen geboren und in Hamburg aufgewachsen, lebt seit 2019 in Wien. Er promoviert in Literaturwissenschaft, hat nach eigener Auskunft einige Romane in der Schublade und mit "Gala" ein erstes Drama beim S. Fischer Theaterverlag untergebracht (noch nicht uraufgeführt). Mit dem Nachfolger "draußen ist wetter" startet er eine "Kommunikationstrilogie". Und deren Grundmotiv ist schlagend: Die Stücke lassen je ein zentrales Element unserer Realität weg und zeigen dadurch eine seltsam verfremdete, zeichenhafte Gegenwart. In der Tradition des magischen Realismus.
Nieselt es noch oder regnet es schon?
In "draußen ist wetter" fehlt die Straßenverkehrsordnung (StVO). Oder vielmehr: Sie wird, wie der Titel andeutet, gerade erst eingeführt. Bislang kam man als Autofahrerin offenbar noch ganz gut ohne sie aus. Unfälle gab's schon, aber Schwamm drüber. Jetzt jedoch wird die Stadt mit dem gesamten Apparat an Regeln, Ampeln, Verkehrsschildern und Zebrastreifen zugepflastert. Sehr zum Verdruss von Dagmar, einer der drei Protagonistinnen in dem Stück; sehr zur Freude ihrer Ehefrau Ronda und ihrer Mitbewohnerin Inga. "ich bin, das sag ich hier ein für allemal, / befürworterin jasagerin unterschreiberin bewilligerin / der neuen straßenverkehrsordnung / oder überhaupt erstmal einer regel hier", schleudert Ronda der renitenten Dagmar entgegen.
In freien Versen lässt Russo die drei Frauen in ihrer Wohngemeinschaft aufeinander los. "ganz wichtig, es regnet viel, weil / das stück heißt ja auch so", witzelt der Autor in seiner Regieanweisung. Ein früher Streit der Ehefrauen entzündet sich folgerichtig an der küchenmeteorologischen Frage, ob es draußen nun niesele oder richtig regne. Dagmar: "du stichelst, du wirfst mir vor / ich sei ne wetterleugnerin".
Russo sucht und findet das Eskalationspotenzial im Alltäglichen. Ein Wort gibt das andere, ohne viel Federlesen werden Kleinigkeiten aufgebauscht, traktieren sich die Partnerinnen mit kalkulierten Missverständnissen und manchmal auch fundamentalem Unverständnis. Viel wird kommuniziert, wenig ausgetauscht. Wie es sich für schrille Konversationskomödien gehört. Mitbewohnerin Inga fungiert als Brandbeschleunigerin, wenn sie die Einführung der StVO akklamiert und sie beruflich mit Öko-Energieprojekten und Polit-Kampagnen unterstützt (Dagmar dazu: "klingst ja wie in so ner biolandbaudoku auf arte").
Totale Überwachungsfantasien
Nebenher sind einige biographische Dimensionen der Figuren anschraffiert: Dagmar laboriert – ob hypochondrisch oder tatsächlich – an chronischer Atemwegserkrankung und möchte zu gern ein Kind adoptieren, aber Ronda verweigert ihre Zustimmung, auch weil sie selbst eine Vorgeschichte mit Kindstod hat. Im Zentrum aber steht klar der politische Dissens über die StVO, und also das Ringen um Begriffe von Freiheit, Sicherheit und Ordnung, das alle über kurz oder lang in die Sackgasse führt. Und Aggressionen zutage fördert.
Russo greift lustvoll in den Instrumentenkassen dessen, was spätestens seit Corona die mediale Aufmerksamkeit befeuert und die Polarisierung von Teilen der Bevölkerung vorantreibt: Dagmar verrennt sich in einem radikal libertären Selbstbegriff von Freiheit. Sie wettert gegen Institutionen wie das Statistische Bundesamt, politisiert sich über YouTube, mischt bald in einem Verein von StVO-Gegnern mit und schießt, sobald sie den Mund aufmacht, gängige Querdenker-Meinungen in die Diskussion (Menschenleben retten? "das schon wieder / sorry, aber wir sind eh schon zu viele auf diesem planeten"). Ronda und – zunehmend als Wortführerin – Inga kommen argumentativ auch nicht richtig auf Touren, reden über den Kopf von Dagmar hinweg, manövrieren sich bald in totalitäre Überwachungsfantasien und bemühen auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung auch schon mal das Wohl der "Volksgemeinschaft" (Inga: "die eine seite ist für etwas, das müssen die anderen / dann mittragen – basta"). Hüben wie drüben also ein recht saurer Cocktail aus Borniertheit, Klugschiss und Schwurbelei.
In guter Dramatik, heißt es, müssen beide Parteien in einem gewissen Maße Recht haben, sonst kommt keine Spannung auf. "draußen ist wetter" scheint eher darauf angelegt, dass alle gleichermaßen im Unrecht sind. Das Drama erfreut sich an der Überhitzung der Positionen, letztlich am Absurdwerden der Auseinandersetzung. Und das bizarre Für und Wider zur StVO (lässt sich das Wider eigentlich plausibel denken?) gerinnt zu einer Farce auf Regelfindungen schlechthin.
Effekt des Komödienmechanismus
Was denn im Ganzen doch eine etwas bittere politische Pointe abwirft. Es ist ja nun nicht so, dass unsere Zeit an einem Übermaß an Regulierung krankt. Die wirklichen Lasten unseres täglichen Tuns, die tonnenweise Emissionen unseres fossilen Wohlstands, werden praktisch gratis auf dem Rücken des Planeten (und mithin auf dem Rücken kommender Generationen und aller Spezies) abgeladen. Man müsste schnell mit ernsthaften Beschränkungen des Konsums entgegensteuern. Aber wie Philipp Lepenies erst jüngst in seiner Studie "Verbot und Verzicht" darlegte, hat uns ein halbes Jahrhundert Neoliberalismus ordentlich benebelt. Und jedwede ordnungspolitische Maßnahme wird sogleich als "Verbotspolitik" gebrandmarkt und mit schlechten Umfrageergebnissen und Wahlniederlagen bestraft.
Von hier aus betrachtet fügt sich ein Stück, das Ordnungspolitik dem Verlachen preisgibt, wunderbar ins neoliberale Narrativ. Hinter der Fratze der verkeilten Frauen lächelt der libertäre Überclown, dem diese Pulverisierung eines Regel-Konflikts nur allzu gut in die Karten spielt auf seinem Pfad des "Weiter so". Man muss diese Implikationen des Stücks nicht als gewollte Message auffassen, eher als Effekt des hier so gewählten Komödienmechanismus. Aber nach der Lektüre versteht man schon, warum sich andernorts die Kinder auf die Straßen kleben.