Autor:innenpreis
Kim de l'Horizon - Dann mach Limonade, Bitch
In einem Dark Room, auf der Hauptbühne von RuPaul’s Drag Race oder im Magen des Schlurz: Dort treffen vier sehr unterschiedliche Kandidat*innen aufeinander und treten in einer Survialvalshow gegeneinander an. Zwergsepia, Birke, Kamtschatka-Knöterich und Martin, ein Zentaur, müssen an schrägen Competitions teilnehmen, um zu entkommen. Doch wenn sich die Möglichkeit ergibt, aus dem Wettbewerb des Spätkapitalismus, Pardon des Schlurzes, auszusteigen – werden die Spielenden sie überhaupt ergreifen? Der*die Verfasser*in des Textes, Kim, schreibt sich und Kims Neffen Diego aus Versehen auch noch selbst mit in das Geschehen hinein. Dieses Theaterstück ist für Diego, der stellvertretend für das Kind steht, das Kim wahrscheinlich nie haben wird. Oder findet alles in Diegos kindlicher Fantasie statt? "Dann mach Limonade, Bitch" hadert lustvoll und klug mit aktuellen Diskursen zu Identität, gesellschaftlichen Zuschreibungen und Repräsentation. Und entzieht sich allzu engen Begrifflichkeiten und Kategorien mit fantastischen Bildern von Genderfluidität und Queerness.
Kim de l’Horizon, geboren 2666 auf Gethen, hat Germanistik im Elfenbeinturm, Literarisches Weinen in Biel und Hexerei bei Starhawk studiert. Mit dem Literaturmagazin "delirium" kratzt Kim an der Vorstellung, daß Texte von sogenannten "Individuen" produziert werden, also daß das allein, im stillen Kämmerlein geschehe. Kim performt übrigens auch ziemlich gerne, früher fürs junge theater basel sowie mit dem Kollektiv "e0b0ff" und im Leben. Die Arbeit am Debütroman "Blutbuch" dauert einige Jahrzehnte länger als angeteasert, nun wurde der Roman 2022 mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung sowie dem Deutschen Buchpreis und dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. In der Zwischenzeit versuchte Kim mit Nachwuchspreisen attention zu erringen auf den weiten und wüsten Territorien des Kulturblablas – mit dem Treibhaus-Wettbewerb für Flechten, dem Textstreich-Wettbewerb für ungeschriebene Lyrik, dem OpenNet-Wettbewerb für prosaische Textile und dem Damenprozessor. Kim studiert Transdisziplinarität an der ZHdK und malt dort ökofeministische Burnoutbilder der Erde, bewegt sich an der Grenze zwischen Literatur und Malerei, Theorie und Kunst, Keramik und Rupaul. Kim wackelt gerne an den Bildern, die wir von Körpern haben, die wir von Menschen und Nichtmenschen haben, die wir von "Natürlichkeit" haben, die wir vom "Wir" haben.
Autor:innen und Stücke
.
Das Stückporträt: Dann mach Limonade, Bitch – Kim de l'Horizon
Das Leben als Ssssssssürvivalsssshhhow
von Dorte Lena Eilers
März 2023. Manche sagen, das Theater sei nach Corona im Arsch. Bei Kim de l’Horizon erfahren wir: Nein. Es wurde lediglich verschluckt. Verspeist von einem riesengroßen Etwas mit gigantischem Hunger. "Schlurz. Rumms. Ka-wa-dröhn."
"Wir befinden uns in …" Ja, denkste. So einfach ist es dann doch nicht. Statt wie der Großteil der tagtäglich auf uns einströmenden Narrationen in Film und Fernsehen, Talkshow und Werbung beginnt "Dann mach doch Limonade, Bitch" von Kim de l’Horizon mit einer Reihe an örtlichen Eventualitäten und damit einer großen Verwirrung. Wo sind wir? Wir wissen es nicht. Vielleicht "in einem Dark Room oder in einem Museum für hellenistische Plastik oder in einer Sauna oder in einem trashigen Fasching-Fundus oder im Aqua-Fun-Park oder auf der Hauptbühne von Rupaul’s Drag Race"?
Aus den Fellen geschnitten
Wer die Texte von Kim de l’Horizon kennt, weiß, dass die üblichen Erzählkategorien von Ort, Zeit und Identität hier nicht zählen. Wer kann schon exakt sagen, wer, wann und wo mensch ist? Was äußere Zuschreibung ist? Was gefühlte und gelebte Realität? Der Boden, auf dem das Leben und damit auch diese Geschichte spielen, ist schwankend. Oder brüchig. Oder schleimig. Kein fester Urgrund, auf dem Tulpen, Tomaten und Stiefmütterchen wachsen, Gartenzaun drumherum und fertig. Der Boden vielmehr ist glitschig und weich. Die Wände "rötlich, rosig, also irgendwie fleischig", durchzogen von Bögen, "die Rippenbögen sein könnten". Also doch: ein gigantischer Magen?
Das zumindest wird den drei, nein vier Protagonist:innen dieses Stücks, Martin, Zwergsepia, Birke und Kamtschatka-Knöterich nach und nach klar. "War Wahres Waren es waren einmal gewesen rrr drrrei jämmerliche Wesen Unwesen Verwesende Schlurz es hatte sie verschlurrrckt aus ihrem Hiersein rrrrrausgezerrrt wie die Lämmlein aus ihrren Fellen hat es geschrrissen." So spricht das Schlurz mit durchdringender Stimme, während Martin, Zwergsepia, Birke und Kamtschatka-Knöterich – ja, es sind doch vier! – zitternd auf einem von Magensäure umspülten Laufsteg stehen, in dessen Zentrum eine Leiter in die Höhe ragt, die so unfassbar golden oder diamanten leuchtet, dass "man beim Sitzen auf seinem Publikumsstuhl die unbändige Lust bekommt, aufzustehen und ranzugehen und sie anzufassen"
Vom Schlurz verschluckt
Diese Leiter scheint der einzige Ausweg aus diesem digestiven Riesendilemma zu sein. Eine Leiter und ein Publikum? "Alssscho", dämmert es Birke, "ist doch offensichtlich. Wir sind in einer Sshhhhhhh-shhhhhh-sssshhhhhow … einer Ssssssssürvivalsssshhhow vermutlich." Mit dieser unguten Erkenntnis ist die Dynamik des Stückes gesetzt. Wie kommen die Vier hier wieder raus? Natürlich, indem sie, wie es die Challenge dieses makabren Verdauungs-Camps vorsieht, permanent gegeneinander antreten. Leben im Kapitalismus heißt, die "Competition" bestehen. "Es kann nur einer winnen und wer winnt, der kann die Leiter hoch und der wird famous!"
Und so messen sich Martin, Zwergsepia, Birke und Kamtschatka-Knöterich in den skurrilsten Kämpfen: ein Unkraut, das nur Japanisch spricht, ein Baum, der im Boden verwachsen ist, ein Zwergtintenfisch, der nur dank seiner Bakterien leuchtet, und ein Mensch, der halb Pferd ist. So sieht es nämlich aus mit den Vieren: Sie sind Existenzen, deren physiognomische Besonderheiten für das Erklimmen der Leiter, die in diesem Life Quest zum Erfolg führt, nicht ganz taugen, sei es, dass sie Pferdebeine haben oder eben gar keine. Dass auch Kim de l‘Horizon alsbald vom Schlurz verschluckt wird, samt Neffe Diego, für den de l‘Horizon eigentlich dieses Stück schreiben wollte, macht die Angelegenheit nicht einfacher.
Fluides Leben im Kapitalismus
"Dann mach Limonade, bitch" ist ein wild wucherndes, mit Identitäten, Orten, Diskursen jonglierendes, sprachspielerisches Stück, das man in all seinen Volten, Verzweigungen und rasanten Transformationen kaum zu fassen bekommt. Gerade darin aber liegt der performative Kern in Kim de l’Horizons Schreiben. Das Formulieren von Sätzen, das Kreieren einer Erzählung führt zu keiner in sich geschlossenen fiktionalen oder non-fiktionalen Welt. Im Gegenteil: Die Narration und ihre Charaktere sind permanent gefährdet, der Veränderung ausgesetzt wie das Leben selbst – durch querschießende Ereignisse, Zufälle, plötzlich auftauchende Personen oder einen Identitätswechsel, den mensch auf einmal in sich entdeckt. Der magensäuredurchflossene Raum – er könnte auch, wie es einmal heißt, "ein sehr innerlicher Raum" sein, der etwas so Gigantischem wie dem großen "Weltraumdu", dem "sogenannten Alles", oder kurz gesagt: dem Kosmos, der, "von einer alten, liebenswürdigen Frau mit künstlichem Gebiss gespielt", tatsächlich im Stück auftaucht, gegenübertritt. Das Ich und das All? Nicht ganz. Vielmehr müsste es heißen: Die Ichs und das All. Denn Kim de l’Horizons Schreiben ist eines der Vielheit, der Übergänge, Hybriditäten und Ambivalenzen sowohl von Personen wie auch von Orten.
"Wir stehen zu unserer Inbetweenheit!", rufen Martins Beine einmal. Das klingt an dieser Stelle entschlossen, an anderer werden die Unsicherheit und der Schmerz deutlich, die in fluiden Leben in Zeiten des kapitalistischen Wettkampfes stecken: "Es ist like... like wenn man in einem Haus wohnt, wo innen überall Stacheln sind! … Und die sieht man from the outside not! Von aussen sieht man nur die scars. Aber sobald man sich bewegt, innen, bohren sich die Stacheln der Hässlichkeit in mich. Und darum beginnt man sich ganz, ganz still zu halten. On the inside. Man erstarrt, damit es nicht so wehtut die ganze Zeit. Ja, ich bin ganz starr, wie eingesteint bin ich! So ist es, in diesem bloody damned Zentaurenkörper zu sein! Ihr habt keine... ihr... ihr..."
Endlich ein Existieren gewinnen
Unsicherheit, Zögerlichkeit, Identitätssuche stehen der Formel "ERFOLG = STATUS + GELD" wie ein dickes Minus gegenüber. Auch die Wandelbarkeit ist im Kapitalismus nur dann gefragt, wenn es um Anpassungsfähigkeit geht. Und so weint der "Chor der Abermilliarden Stimmlosen" stets im Hintergrund, in sich, und das ist das Traurige, ebenfalls arg zerstritten. So hofft auch Sabrina, das polnische Au-pair-Mädchen, das de l’Horizon gleich in der ersten Szene einführt, in diesem Game auf einen Gewinn. Darauf, dass sie "endlich ein Existieren gewünne. Oder ein Gesehenwörden". Doch weil sie von de l’Horizon ohne "krasse Gender-Körper-Rasse-Dysphorien" ausgestattet worden sei, spiele sie in diesem Stück nur eine "stimmlose, unwichtige Nebenrolle". "Fick dich, Kim", ruft sie am Ende und klettert auf der Leiter nach oben.
Gibt es einen Notausgang aus diesem Spiel? Kim de l‘Horizont versucht es als ins Stück verfrachtete Person am Schluss zumindest zu denken: Wenn das Spiel "von euch – uns – gemacht wurde, dann können wir damit ja auch aufhören? Was mensch – was wesengemacht ist, das kann auch einfach umbestimmt werden? Oder? Oder Schlurz?"