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Svealena Kutschke – no shame in hope (eine Jogginghose ist ja kein Schicksal)
Drei Frauen in einem Imbiss – frisch ausgespuckt aus dem Maschinenraum der Psyche, scheinbar austherapiert und bereit für einen neuen Abschnitt ihres Lebens. Aber das sogenannte Draußen ist mit Fragen versehen: Ist nicht Depression die einzig angemessene Reaktion auf die Beschissenheit der Dinge? Was macht das Reh auf der Kreuzung? Wieso fällt es unserer Gesellschaft so schwer, Schmerz anzuerkennen? Und warum ist das Ketchup immer alle? Einzig die überaus junge Imbissverkäuferin scheint Antworten auf fast alles zu haben, was auch damit zusammenhängen könnte, dass sie schon seit 90 Jahren hinter dem Tresen steht. Kein Wunder also, dass sie mühelos einen Bogen spannen kann zwischen persönlichen Wunden heute und dem Umgang mit Gewalt und Schuld in der Geschichte des Nationalsozialismus. Die Pommes sind nicht wirklich kross. Das Reh ist vielleicht ein Nazi. Und der Bus weg von der Klinik ein historisches Missverständnis.
Svealena Kutschke ist Schriftstellerin und Dramatikerin und lebt in Berlin. Sie hat vier Romane veröffentlicht, zuletzt Gewittertiere. Ihr Stück zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden war zu den Autorentheatertagen 2019 eingeladen und wurde am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt. Svealena Kutschke wurde mit dem Förderpreis des Schiller-Gedächtnis-Preises 2019 und mit dem Hebbel-Preis 2022 ausgezeichnet. Ihr Stück no shame in hope (eine Jogginghose ist ja kein Schicksal) entstand im Rahmen des Drama Lab 2022 der Wiener Wortstätten. 2023 ist sie Stipendiatin der Kulturakademie Tarabya in Istanbul.
Zum Stückporträt: no shame in hope (eine Jogginghose ist ja kein Schicksal)
Autor:innen und Stücke
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Das Stückporträt: no shame in hope – Svealena Kutschke
von Falk Schreiber
März 2022.Texte erzählen eine Geschichte. Und Theater erzählt einen Raum. Und manchmal versteckt sich der Raum als Ganzes in der Geschichte. Svealena Kutschkes "no shame in hope. Eine Jogginghose ist ja kein Schicksal" ist die Beschreibung solch eines Raumes, auch wenn die Regieanweisungen nur rudimentär sagen, was für einen Raum wir hier sehen. Eine Imbissbude, eine Telefonzelle, eine Bushaltestelle, viel mehr ist erstmal nicht vorgegeben. Aber was das für ein Ort ist, das erfährt man ziemlich klar durch das Stück.
Nach der Apokalypse
Imbiss, Telefon, Haltestelle. Luca, Carla und Linn (die man schon in anderer Form aus Kutschkes Stück "Glow in the Dark" kennt) treffen sich auf eine Pommes, anscheinend wurden sie gerade aus der Psychiatrie entlassen, die Wirtin bedient sie mit passiv-aggressivem Charme, etwas abseits lungert "ein kräftiger Mann mittleren Alters" rum, mehr passiert eigentlich nicht. Und weil so wenig passiert, beginnt man, sich zu fragen: Was ist das hier eigentlich tatsächlich für ein Raum? Ein Grauen schleicht sich ein, die Ahnung: Das ist nicht nur eine Bude im Ödland, das sind die letzten Menschen nach der Apokalypse. Eine Ampel steht rum, aber sie ist kaputt, auch egal, es gibt ohnehin keinen Verkehr, den sie regeln könnte.
Von Zeit zu Zeit geht der biertrinkende Mann ans Telefon, aber wahrscheinlich hat er niemanden in der Leitung, wahrscheinlich brabbelt er nur vor sich hin. Die Natur scheint sich den Stadtraum zurückzuerobern, ein Reh frisst zwischen den Rissen im Asphalt, aber auch das ist keine gesicherte Aussage, hört der Trinker doch auf den Namen "Reh“. Womöglich gibt es keine Natur mehr, nur noch Trostlosigkeit. Und ob Luca, Carla und Linn tatsächlich aus der Anstalt entlassen wurden, oder ob sie einfach abhauten, weil es weder jemanden gab, der sie entlassen konnte, noch jemanden, der sie aufhielt, ist auch nicht ganz klar. Nur dass all das nicht im Text steht, sondern zwischen den Figuren entsteht, zwischen den Protagonistinnen und der Imbissverkäuferin, die innerhalb von zwei Sätzen zwischen durchlässiger Freundlichkeit und pampiger Aggression wechselt. Von Zeit zu Zeit vermuten die Beteiligten, dass hier etwas nicht stimmt: "Vielleicht ist das die Apokalypse, und wir haben alles verpasst?“, fragt sich Carla, als sie die leere Straße und die leeren Hochhäuser anblickt, und man denkt, dass da was dran sein könnte. Aber man weiß es eben nicht. An anderer Stelle ist derselbe Blick derjenige auf die Alpen und aufs Meer.
Verschatteter Drogentraum
Regieanweisungen? Finden sich in diesem Stück nur selten, und wenn, dann lässt sich mit ihnen wenig anfangen. Immer wieder betont die zunehmend poröser werdende Wirtin, dass sie ihren Gästen ja wohl keinen Schokoladenbrunnen versprochen hätte, und Autorin Kutschke so: "Falls Sie sich das jetzt fragen: Ich weiß auch nicht, was sie meint. Schokoladenbrunnen? NAJA." Die konsequente Desorientierung und Verunsicherung, die "no shame in hope" auszeichnet, schlägt auch auf den Stücktext durch. Allein: Ganz im Regen stehen lässt einen das Stück nicht, die Autorin weiß schon, was sie sich da auf der Bühne wünscht, und es steht auch im Text, nur nicht dort, wo man es erwartet, sondern in den Sätzen, mit denen die Figuren die Welt um sich konstruieren. "Linn: Dieses Knistern in der Luft. Seht ihr das? / Imbissverkäuferin: Das ist das Knistern von alten schwarz-weiß Aufnahmen. Das überlagert sich hier manchmal alles ein bisschen. Aber was soll man machen. Anderswo schneits im Sommer." Das sind schon ganz konkrete Situationen, man hat Szenenbilder vor Augen, Klimakatastrophe, eine Welt, die trübe wirkt, giftig und lebensfeindlich.
Und die politisch durchaus eine gewisse Sprengkraft hat. Der Biertrinker an der Bushaltestelle, der als "Reh" zunächst noch harmlos wirkt, wird nach einer Weile als Nazi geoutet (obwohl er sich weiterhin wenig bedrohlich benimmt). Und dann flattern Briefe über die Bühne, anscheinend Denunziationen, die von der Wirtin in den 1930ern verortet werden. Einen liest Luka vor: "Es hat sich folgendes zugetragen, dass der Josef M. anlässlich einer Eintopfsammlung eine Spende verweigert hat mit den Worten: 'Ich bin kein Idiot, dass ich nochmals was gebe.' Damit hat Josef M. die Behauptung aufgestellt, die Spender zum Winterhilfswerk seien Idioten. Dies ist eine Beleidigung, die unter allen Umständen gesühnt werden muss." Schließlich warten die Beteiligten auch noch auf einen Bus, in einer grauen Welt – war da nicht mal was, mit grauen Bussen? Einerseits ist das dann womöglich ein Assoziationsoverkill, der nach den Protagonistinnen auch den Betrachter befällt, andererseits ist das Beschriebene eben schon ein von warmem Prosecco und schlechtem Fast Food verschatteter Drogentraum in einem postdiktatorisch delirierenden Deutschland. Kurz taucht ein Chor auf, und der wird in einem hellen Moment als "leicht faschistisch" markiert, behält am Ende aber als einziger halbwegs den Überblick.
Bilder des Unbehagens
Svealena Kutschke, geboren 1977 in Lübeck und Absolventin des Hildesheimer Kulturwissenschafts-Studiengangs, ist mehr Romancierin als Dramatikerin: Zwei Theaterstücken ("Glow in the Dark“, bislang noch nicht uraufgeführt, und "zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden“, eingeladen zu den Berliner Autorentheatertagen 2019) stehen bis dato vier Romane gegenüber, zuletzt "Gewittertiere"(2021). Vielleicht spürt man diese Prägung an "no shame in hope“: dass Kutschke nicht primär dramatisch denkt, dass sie alles, was sie sagen will, im literarischen Text sagt. Das sorgt dafür, dass das vorliegende Stück einen ungewohnten Ton hat, der nicht sofort Bilder einer Bühnenumsetzung aufruft, sondern der etwas offen lässt. Um den Preis, dass nichts mehr sicher ist. Kutschke lässt einer Umsetzung viele Freiheiten, obwohl sie wahrscheinlich recht genau weiß, was passieren sollte – das eröffnet eine Spannung, und diese Spannung macht "no shame in hope" interessant. Man wünscht sich, dass eine Regie Bilder für diese Spannung findet, Bilder, die das Unbehagen aus Kutschkes Text nicht trivialisieren, sondern in ein Theater übersetzen, das sich seiner Welt so wenig sicher ist, wie Luca, Carla und Linn sich ihrer.