Aliens, can you hear us?

März 2023. Die Zeit läuft. Um die Erde vor dem Klimakollaps zu bewahren, heißt es jetzt zu handeln. Doch was, wenn wir scheitern? Ruven Bircks hat aus "Über Leben" von Konstantin und Annalena Küspert in seiner für den Nachspielpreis  nominierten Inszenierung am Schauspiel Dortmund eine Materialsammlung komponiert, die sich problemlos ins Weltall versenden ließe – als letztes Dokument der Menschheit.

Ein Gespräch mit Ruven Bircks.

Ruven Bircks, Sie haben am Schauspiel Dortmund "Über Leben" von Konstantin und Annalena Küspert inszeniert, die zweite Einstudierung nach der Uraufführung am Theater Münster. In dem Stück werden vor dem Hintergrund des Klimawandels die unterschiedlichsten Katastrophenszenarien simuliert; allerdings lassen Sie nur eine kleinere Auswahl der 30 Szenen spielen. Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Szenenfolge komponiert?

Ruven Bircks: Ich wollte nicht etwa eine Abfolge von Kurzgeschichten auf die Bühne bringen. Deshalb habe ich mich zwei, drei Tage hingesetzt und mir einen dramaturgischen Bogen oder einen Spannungsbogen ausgedacht. Man könnte es auch einen emotionalen Bogen nennen: Es werden ja sehr viele sehr unterschiedliche Themen angesprochen, bis hin zu einer Vampirgeschichte, und ich habe mich eben gefragt, welches von diesen Themen mich persönlich am meisten interessieren. Zum Beispiel gibt es da diese Episode mit der Raumsonde Voyager, die auf Tatsachen beruht: Man hat vor einiger Zeit eine goldene Schallplatte mit den verschiedensten Hervorbringungen menschlicher Kultur in den Weltraum geschickt, in der Hoffnung, dass sie vielleicht eines Tages, wenn die Menschheit als solche gar nicht mehr existiert, von Außerirdischen gefunden wird. Nach dem Motto: Wir sind erst wirklich vergangen, wenn gar nichts mehr von uns übrig ist. Ich habe also zu Hause vor dem Computer gesessen und nach Art eines Legohauses meine eigene Fassung zusammengebaut, eben im Sinne einer subjektiven Betroffenheit oder eines subjektiven Interesses.

Warum werden neue Texte doch eher selten nachgespielt? Stellt das am Ende den Autoren und Autorinnen ein schlechtes Zeugnis aus, oder den Theatern, oder etwa beiden?

Ruven Bircks: Es gibt zweifellos eine gewisse Scheu an den Theatern, was das Nachspielen bereits aufgeführter Texte betrifft; mit einer Uraufführung hat man eben gleich ein patentes Markenzeichen, das bei einem Nachspiel fehlt. Ich selbst finde das erstmal schade, denn über den Fund dieses Textes von den Küsperts war ich sehr froh. Mit einem schlechten Zeugnis für Autor:innen hat das sicher nichts zu tun.

Uber Leben Foto Florian Durkopp 6459Wir sind erst wirklich vergangen, wenn gar nichts mehr von uns übrig ist. © Florian Durkopp

Der Titel "Über Leben" ist ja an sich schon ziemlich hintersinnig und vieldeutig: Denn auch den Autoren und Autorinnen geht es ja oft ums "Überleben", wenn auch nicht unbedingt ums nackte.

Ruven Bircks: Ja. Für mich als Regisseur geht es, wenn ich auf Stoffsuche bin, um die Frage, was interessiert mich an einem Text, ob es nun eine Uraufführung ist oder nicht; aber ich habe als Theaterpraktiker leicht reden, ich bin kein Intendant und muss eine Aufführung auch nicht vermarkten.

Und warum sollte nun gerade dieser Text möglichst oft nachgespielt werden?

Ruven Bircks: Ich gehöre ja einer Generation an (ich bin 25), die mit dem Thema Klimawandel praktisch aufgewachsen ist. Das Gefühl, es sei im Grunde schon fünf vor zwölf, ist mir also sehr vertraut. Der Text greift das Thema auf, geht aber auch voller Humor damit um, was mir sehr gut gefällt. Und die Form dieser 30 kurzen Szenen gleicht fast einer Art Materialsammlung; es ist ein Hybrid zwischen einem Stück und einer Stückentwicklung. Ich habe die Aufführung in Münster leider nicht gesehen, aber ich denke, dass man den Text auf komplett unterschiedliche Arten auf die Bühne bringen kann, und das ist eine Herausforderung, über die ich froh bin. Es ist etwas anderes, als würde man einen Klassiker wie Ibsens "Volksfeind" nehmen, der dem Thema ja auch entspräche. Aber hier kommt eine moderne Form hinzu, die sehr schön spielbar ist; deshalb spricht vieles dafür, gerade diesen Text auf den Spielplan zu setzen.

Sie lassen fast das ganze Stück mit einer Live-Kamera filmen; die Personen agieren hinter einem Vorhang, auf den die Bilder projiziert werden. Was spricht für diese ästhetische Entscheidung?

Ruven Bircks: Da kommen wir auf die Sache mit der Voyager zurück. Filme, Musikstücke, Bilder und andere Dokumente werden ins Weltall geschickt, damit die Menschheit gewissermaßen überlebt. Die Idee war, vier Personen auf der Bühne sich selbst filmen zu lassen, als würden sie ein Dokument erstellen, das sie beispielsweise in den Weltraum schicken könnten, für etwaige Außerirdische. Der Film als Medium ist erst einmal länger haltbar als eine Theateraufführung, er verschwindet nicht so schnell, es sei denn, eine ganze Datei ginge verloren. Natürlich ist es auch so, dass ich die Ästhetik der Live-Kamera einfach persönlich sehr gerne mag. Ich mag das intermediale Arbeiten. Aber für das konkrete Stück ist die Entscheidung insofern sinnvoll, als wir es bei den einzelnen Szenen mit unterschiedlichen Genres zu tun haben, die man voneinander abgrenzen muss. Es ist nicht so, als würde ich vor dem Fernseher sitzen und einfach von einem Sender zum anderen zappen. Vielmehr können wir die einzelnen, sehr unterschiedlichen Szenen mit Hilfe der Live-Kamera besser voneinander absetzen und genremäßig voneinander trennen. Das hat große Vorteile.

Uber Leben Foto Florian Durkopp 6086Der Film als Medium ist erst einmal länger haltbar als eine Theateraufführung. © Florian Durkopp

Nun spielt auch Dortmund das Stück im Studio, wie fast alle neuen Stücke vor eher wenigen Zuschauern im Studio und nicht auf den Hauptbühnen gespielt werden – eine Tatsache, die ja oft auch kritisiert wird. Wie stehen Sie dazu?

Ruven Bircks: Der Prozess war so, dass zuerst die Entscheidung fiel, mich als Regiedebütant eine Inszenierung im Studio machen zu lassen. Dann erst habe ich mich für "Über Leben" entschieden, so war also die Reihenfolge. Als Debütant inszeniert man eben nicht gleich auf der großen Bühne. Erst die kleineren Räume, dann irgendwann die größeren. Aber klar, natürlich sollten neue Texte unbedingt auch auf großen Bühnen gespielt werden, da bin ich absolut dafür. Das würde ich liebend gerne machen.

Wie geht es mit Ihnen weiter?

Ruven Bircks: Dies ist meine letzte von drei Spielzeiten als Regieassistent am Schauspiel Dortmund. Danach werde ich nicht mehr fest an ein Haus gehen, sondern mich auf den freien Markt begeben, mir andere Häuser anschauen und als freier Regisseur hoffentlich "überleben". Das ist also der Plan.

Dann viel Glück!

Das Gespräch führte Martin Krumbholz.

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