Nana na nana

In "Die letzte Geschichte der Menschheit" schickt Sören Hornung eine KI aus der Zukunft zu uns, auf dass sie uns vor dem Untergang warne. Aber ist sie, wofür sie sich ausgibt? Und warum erzählt sie so merkwürdige Geschichten? Antworten gibt Leon Bornemanns Inszenierung, die um den Nachspielpreis konkurriert.

Von Georg Kasch

5. Mai 2023. Kurz bevor KARL die Ideen ausgehen, versucht sie es noch mit einer Publikumsbeschimpfung: "Ihr seid wirklich zu blöd", ruft sie uns entgegen. Kleine Kinder seien wir, trotz Makeup und Bierbauch. "Weil ihr euch lieber für die Weltzerstörung in der Hand anstatt für die Solaranlage auf dem Dach entschieden habt." Ihr Ziel ist es nämlich, uns zum Umdenken und Umkehren zu bewegen. KARL ist eine Künstliche Intelligenz, die aus der verwüsteten Zukunft zu uns gekommen ist, um den Lauf der Geschichte doch noch zu ändern.

Schließlich, so die Prämisse von Sören Hornungs Monolog "Die letzte Geschichte der Menschheit", sei KARL einst programmiert worden, um die Menschen vor ihrem Ende zu bewahren. Allerdings wurde sie zunächst von ihren Schöpfern mit Youtube verbunden, damit sie die Menschen verstehen lerne. Und ging dort beim Bingen derart verloren, dass sie das Warnen verschusselt hat.

Was sie, aus der Zukunft zurückgereist, nun vor uns nachholt. Hin und wieder zappt sie mit Hilfe ihres besten Freundes ULF (ein altes Handy, das nie zu sehen ist) rüber in ihre Gegenwart, unsere Zukunft. Und es gehört zu den klugen Entscheidungen von Leon Bornemanns Inszenierung am Schauspiel Frankfurt, hier keinen Feuerball zu zeigen (wie im Stücktext vorgeschlagen), sondern nur ein lautes Grollen erklingen zu lassen, während sich die Bühnenrückwand leicht verfärbt.

Mitmurmeln! Wir wollen sein

Vor diese Leinwand hat Katharina Oleksinska ein Symbolbild für unser banales Leben gebaut: Bett, Sessel, Schreibtisch, dazwischen Fastfood-Boxen und Klamotten – alles in einem dumpfen Blaugrün, das wirkt wie ein Negativ, wie eine Hohlform, mit Kunststoff ausgegossen. Hier wendet sich KARL als eine Art Wunderbarbie an uns: Lucia Bushart hat Schauspielerin Tanja Merlin Graf in rote High Heels, einen pinken Latexrock und eine Atombusen-Bluse gesteckt, halb E.T.A. Hoffmann’sche Korkenzieherlocken-Olimpia, halb Sexpuppe. Ihre Gesten sind eckig, ihre Mimik spielt verrückt, als müsse sie noch lernen, uns angemessen zu imitieren. Je verzweifelter sie im Verlauf der Stunde wird beim Versuch, uns zum Überleben zu animieren (etwa mit dem umgedichteten Stampfhit "Live is Life, nana na nana" oder der Mitmurmel-Beschwörung "Wir wollen sein"), zu informieren und aufzurütteln, desto menschlicher wird sie. Am Ende sitzt da eine junge Frau vor uns in Schlabberpulli, ernsthaft angefasst und verzweifelt über die Trägheit ihrer Mitmenschen.

robert schittko copyright 11 kleinWie ein blaugetünchtes Negativ unserer Gegenwart – Katharina Oleksinskas Bühne für "Die letzte Geschichte der Menschheit". Foto © Robert Schittko

Dazwischen liegt eine Tour de Force durch die Absurditäten der Jetztzeit. Hornung, seit seinem Autor:innenwettbewerbsbeitrag "Arche NOA" 2020 Experte für den ironischen wie verzweifelten Weltuntergang, lässt KARL nämlich Youtube-Episoden erzählen, die nicht gerade den Menschen als Krone der Schöpfung bestätigen. Und doch überkommt einen allmählich die Ahnung: Solange wir uns noch über Geschichten verständigen, und seien sie noch so abseitig, sind wir nicht verloren (selbst wenn sie recycelt sind wie die wirklich sehr schöne Ritzelfritz-Religionsparodie, die Hornung aus seiner "Arche NOA" übernommen hat).

Was bleibt? Erkenntnisse wie diese: "wenn man was verändern will dann geht das wenn überhaupt nur zusammen." Natürlich ist das banal. Aber es ist eben auch wahr. Und offenbar sehr schwer umzusetzen.

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Die letzte Geschichte der Menschheit
von Sören Hornung 
Regie: Leon Bornemann, Bühne: Katharina Oleksinska, Kostüme: Lucia Bushart, Musik: Lucas Lejeune, Dramaturgie: Katja Herlemann
Mit: Tanja Merlin Graf
Dauer: 1 Stunde, keine Pause
Premiere 20. Dezember 2022

www.schauspielfrankfurt.de

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