Die Einsamkeit einer KI

März 2023. Hätte KARL, die KI, nicht so viel Bingewatching betrieben, hätte die Menschheit vielleicht überlebt. Zerknirscht reist er in die Vergangenheit zurück, um zu retten, was zu retten ist. Leon Bornemann hat am Schauspiel Frankfurt "Die letzte Geschichte der Menschheit" von Sören Hornung gemeinsam mit der Schauspielerin Tanja Merlin Graf auf die Bühne gebracht. Nun ist dieser rasante Monolog für den Nachspielpreis nominiert.

Ein Gespräch mit Leon Bornemann und Tanja Merlin Graf

Leon Bornemann, Tanja Merlin Graf, die Uraufführung von Sören Hornungs "Die letzte Geschichte der Menschheit" fand 2022 im Konzerthaus Wernigerode statt. Wenige Monate später haben Sie das Stück am Schauspiel Frankfurt nachgespielt. Wieso wollten Sie das Stück inszenieren? Was hat Sie daran interessiert?

Leon Bornemann: Ich habe zuvor bereits "Bookpink" von Caren Jeß inszeniert, auch mit Tanja Merlin Graf auf der Bühne, und dann die Chance vom Schauspiel Frankfurt bekommen, eine zweite Inszenierung zu machen. Mich reizte es diesmal, an einem Monolog zu arbeiten. Umso wichtiger war es mir, dass Merlin die Textauswahl, unter anderem zum Thema Einsamkeit, mitentscheidet. Merlin kennt und schätzt den Autor Sören Hornung vom Studium und schlug "Die letzte Geschichte der Menschheit" vor. Bei einer KI auf der Bühne – sie spricht den Monolog – war ich zunächst vorsichtig, weil ich viele Ansätze gesehen habe, die für mich nicht aufgegangen sind. Der Text entsprach aber sehr genau Merlins Alltagssprache …

Tanja Merlin Graf (lacht): So rede ich immer! Nein, sie liegt mir tatsächlich auch sehr gut im Mund.

Leon Bornemann: Und mich hat vor allem das Ende davon überzeugt, das Stück zu machen. Ich habe einen Hang zu zeitgenössischen Texten, die humorvoll starten und unerwartet enden. Wir haben natürlich auch mit dem Gedanken gespielt, einen klassischen Monolog zu nehmen. Doch die Erwartungen sind bei derart bekannten Stücken natürlich höher, und ich hatte die Befürchtung, diese in unserem Rahmen kaum erfüllen zu können. Es war eine kleine Produktion mit wenig Budget in einem sehr speziellen Raum, der "Box", und ich hatte den Eindruck, dass ich diesem Rahmen mit einem zeitgenössischen Text besser gerecht werden kann.

robert schittko copyright 2Und plötzlich gibt es die Menschheit nicht mehr. © Robert Schittko

Die Hauptfigur ist eine KI namens KARL, die aus der Zukunft kommt, aus dem Jahr 5144, um die Menschheit vor ihrem baldigen Ende zu warnen. Denn das war eigentlich ihr Auftrag, allein, der ist ihr beim Youtube-Bingewatching irgendwie entglitten, und plötzlich gab es keine Menschheit mehr. Wie sind Sie mit der Herausforderung umgegangen, eine KI zu inszenieren?

Tanja Merlin Graf: Das war unser längster Prozess! Wir haben immer wieder Testpublikum eingeladen, das bei diesen Durchläufen teilweise sehr unterschiedlich reagiert hat. An einem Tag kam es aus der Aufführung und sagte, es sei ganz klar ein Mensch auf der Bühne, am nächsten Abend sagte es, es sei ganz klar eine KI. Wir haben dann jeweils versucht zu analysieren, was wir anders gemacht haben.

Leon Bornemann: Ob KARL Mensch oder Maschine ist, haben wir letztlich nicht festgelegt, wir wollten es offenlassen. Ich habe beim Lesen gemerkt, dass es nicht ein KI-Spiel ist, das große Videotechnik braucht, sondern dass man da durchaus menschlich rangehen kann.

Tanja Merlin Graf: Und wofür steht diese KI? Glauben mir die Menschen vielleicht schneller, wenn ich sage, ich sei eine KI? Ist es überzeugender, wenn eine KI sagt, die Welt gehe unter, als wenn es ein Mensch tut? Und wo baue ich dann die Brüche ein, um meine eigene Ungewissheit darzustellen? Diese Brüche sind ja auch textlich verankert. Spielerisch fand ich das sehr interessant auszuloten.

Ist es für Sie weiterhin nicht eindeutig, wer da spricht? Wer dieser KARL ist?

Tanja Merlin Graf: Doch, für uns ist es schon klar. Am Ende ist es für uns eindeutig, dass dort ein Mensch spricht. Der Text macht viele Sprünge, für die wir verschiedene spielerische Haltungen entwickelt haben. Denn bei einem Monolog gibt es kein Gegenüber, so mussten wir alles aus dem Miteinander mit dem Publikum schöpfen.

Das Bühnenbild ist lange Staffage, es wird erst im letzten Drittel der Inszenierung bespielt. Es ist ein etwas unordentliches Jugendzimmer mit Bett, Schreibtisch und Sessel, aber alles ist von dunkelblauer Farbe überzogen wie von einer Patina, während die Rückwand hellblau flirrt wie ein Monitor. Welche Idee liegt dem zugrunde?

Leon Bornemann: Katharina Oleksinska, unsere Bühnenbildnerin, hat einen sehr eindrucksvollen Raum entworfen. Es hat sich recht schnell herauskristallisiert, dass wir eine Art Jugendzimmer entwerfen wollen, das jedoch zugleich entfremdet, fast unheimlich aussieht. Wir wollten jedoch offenlassen, ob es das Zimmer von KARL ist, in dem er die ganze Zeit YouTube geguckt hat, oder ob es ein Raum ist, der erst entstanden ist durch diese Dystopie. Es war für uns lange eine offene Frage, ob Merlin diese Möbel und Gegenstände berührt und benutzt.

Tanja Merlin Graf: Wir wollten nicht das bekannte Bild einer untergegangenen Welt zeigen, das Bühnenbild ist ja gleichzeitig sehr abstrakt und vertraut, sogar heimelig.

Und wer ist Ulf?

Tanja Merlin Graf: Mein bester Freund. Da haben wir einiges ausprobiert. Ulf erzählt die Einsamkeit noch einmal sehr deutlich, eine Figur, die nicht sichtbar ist.

Leon Bornemann: Er ist der einzige, den KARL anspricht. Wir haben lange zusammen überlegt, ob man einen Luftballon nehmen kann oder einen Teddybären, aber dann hat Merlin einfach ins Nichts gesprochen, und für mich war klar, dass wir Ulf gar nicht darstellen brauchen. Das macht die Einsamkeit viel deutlicher. Deswegen hat auch Kostümbildnerin Lucia Bushart das Kostüm aus Uniformjacke, künstlichen, großen Brüsten und Minirock gewählt, mit dessen Hilfe sich KARL in eine Anime-Heldin hineinversetzt. Das erzählt für uns auch viel über seine Einsamkeit, er erschafft sich als Superheldin, als eine andere Person.

robert schittko copyright 9Der Zauber der kleinen, alltäglichen Momente. © Robert Schittko

Der Text zappt sich, wie die von KARL massenweise konsumierten Youtube-Videos, durch allerlei Anekdotisches hindurch. Wie haben Sie für dieses heterogene Material einen roten Faden geschaffen?


Leon Bornemann: Wir haben uns während des Probenprozesses dafür entschieden, keine Entwicklung zu zeigen, sondern das Herumzappen bestehenzulassen.

Tanja Merlin Graf: Es muss nicht immer eine logische Entwicklung von einem zum anderen geben. Schließlich kann eine KI ja auch schneller umswitchen als ein Mensch, und man kommt teilweise gar nicht hinterher. Aber wir haben für uns das Stück in drei große Teile eingeteilt, in drei verschiedene Strategien KARLs, das Publikum von der dringenden Notwendigkeit zu handeln zu überzeugen. Am Anfang spielt er eine perfekte KI, dann versucht er es über den Spaßfaktor, über Emotionen, und am Schluss über den Glauben an eine Göttin. Wir wollten jede neue Strategie, jeden neuen Ansatz so weit treiben, bis er wieder stürzt und scheitert, und KARL am Ende merkt, dass es gar nichts bringt, Theater zu spielen, sondern er sich dem Publikum öffnen muss, um zu überzeugen.

Leon Bornemann: Mir sind diese kleinen, alltäglichen Momente so wichtig, die KARL am Ende aufzählt. Während der Pandemie war die Sehnsucht nach diesen Momenten sehr groß, war die Einsamkeit sehr groß. Aber jetzt habe ich den Eindruck, dass die Wertschätzung für das Alltägliche wieder in Vergessenheit gerät, und es wieder darum geht, große Erlebnisse nachzuholen, Reisen, Konzerte. Dabei sind es, wie es im Text am Ende auch heißt, doch kleine Momente, die das Leben lebenswert machen: Ein Kuss, ein Kind im Buggy, das sich freut … während wir immer auf das Große hinauswollen, auf die Superlative, die Perfektion. "Die letzte Geschichte der Menschheit" dagegen fängt mit der ganz großen Behauptung an und endet mit der Hinwendung zum Alltäglichen.

Das Gespräch führte Esther Boldt.

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