Raus aus der Comfortzone

"Dein Körper ist nicht mehr dein Körper": Lisa Bräuniger, Anne Wittmiß und Anna Fritsch bringen mit "What the Body?!" das Unbehaustsein in der Pubertät auf den Punkt.

Von Falk Schreiber

2. Mai 2023. Distanz zwischen Publikum und Bühne gibt es hier schonmal keine. Die Zuschauer:innen stehen in Grüppchen im clubähnlichen Ambiente des Sprechzimmers am Heidelberger Theater, die in Drag gewandete Lisa Bräuniger tänzelt zwischen ihnen herum, spricht Einzelne direkt an, fordert Andere auf, ihr zu folgen, konstruiert eine Art Polonaise ohne Anfassen durch den Raum. Und stellt so gleich in den ersten Minuten klar: Was hier passiert, ist kein Theaterstück, in dem euch jemand etwas erzählt, das ist etwas, bei dem ihr Teil des Ganzen seid.

Ständig passiert was

Die Stückentwicklung "What the Body?!" richtet sich an Jugendliche ab 13 Jahren, Bräuniger, Anne Wittmiß und Anna Fritsch haben sie für das Freiburger Theater im Marienbad inszeniert und sind jetzt mit ihr für den Jugendstückepreis beim Heidelberger Stückemarkt nominiert. 13 Jahre: Das Alter, in dem Geschlechterkonventionen ins Bedrohliche kippen, in dem Körper sich verändern, Verunsicherungen zunehmen, man beginnt, sich mit seiner Umgebung zu vergleichen (um dabei meist zu wenig schmeichelhaften Ergebnissen zu kommen). "Dein Körper ist nicht mehr dein Körper", meint Bräuniger an einer Stelle und bringt damit das Unbehaustsein der Pubertät auf den Punkt.

Ständig passiert also etwas, für das man keinen Umgang weiß: Haare sprießen an Stellen, an denen man sie nicht möchte, Brüste wachsen, Flüssigkeiten beginnen zu fließen. Unangenehm. Sehen die anderen womöglich, dass man eine ungewollte Erektion hat? Gott, wie peinlich. "Guck weg!" herrscht die Performerin die Zuschauer:innen an, "Guck mal!", man weiß nicht einmal, ob man wahrgenommen werden möchte, oder ob man lieber in der Masse verschwinden will. Und dass eine Jungsgruppe bei der Heidelberger Aufführung hier unsicher kichert und johlt, das zeigt auch, was für einen wunden Punkt das Stück an dieser Stelle berührt: Guckt mal, das geht euch direkt an.

WHAT THE BODY by MiNZKUNST0004 Lisa Bräuninger, hier mal allein im Raum © MiNZKUNST

Nach und nach verliert "What the Body?!" diese Dringlichkeit allerdings ein Stück weit. "Ich bin ein Junge", heißt es an einer Stelle, "ich bin ein Mädchen, ich bin beides, ich bin keines von beidem." Das behauptet eine Allgemeingültigkeit die die Pubertät unerträglich machenden Geschlechtergrenzen transzendieren könnte, nur hält der Stücktext diese Zwischengeschlechtlichkeit nicht konsequent durch. "Ich bin beides", das sagt sich so leicht, aber im Grunde nimmt Bräuniger dann doch wieder die weiblich gelesene Rolle ein. Was nicht schlimm ist, allerdings dafür sorgt, dass sich die Jungs weniger angesprochen fühlen.

Es gibt Hoffnung

Hilfreich hingegen ist, dass die Inszenierung das Publikum weiter auf Trapp hält. Immer, wenn man beginnt, sich in seiner Position einzurichten, fordert Bräuniger wieder zur Bewegung auf, dazu, durch den Raum zu prozessieren, dazu, zu tanzen, dazu, seine sichere Umgebung zu verlassen. Raus aus der Comfortzone! Und rein in einen Mixer, der das Publikum gehörig durchmischt. Zwischendurch lernt man, dass Delfine alle zwei Stunden ihre äußeren Hautschichten abstoßen, womit Bräuniger, Wittmiß und Fritsch eine hübsche Utopie entwerfen: Man kann also auch raus aus der eigenen Haut, die picklig ist, schmierig und verschorft. Es gibt Hoffnung.

Nach einer Stunde ist das eigentliche Stück zu Ende, das Publikum aber bleibt noch im Raum. Bräuniger macht Musik an, befreit sich aus ihren atemberaubenden High Heels und steht für Fragen zur Verfügung. Und tatsächlich: Einzelne Zuschauer:innen sprechend die Performerin an. Was dieses so kurze wie grundsympathische Stück hübsch auf den Punkt bringt: Es geht darum, sich locker zu machen, es geht darum, Fragen zuzulassen, es geht darum, zu erkennen, dass die Antworten einen direkt angehen.

What the Body?!
Stückentwicklung von Lisa Bräuniger, Anne Wittmiß und Anna Fritsch
Regie, Bühne und Kostüme: Anne Wittmiß, Dramaturgie: Anna Fritsch, Musik: Siri Thiermann.
Mit: Lisa Bräuniger.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.marienbad.org

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