Macht die Augen auf!

In ihrem Roman "Drei Kameradinnen" spielt Shida Bazyar durch, was es bedeutet, im strukturellen Rassismus aufzuwachsen. Regisseurin Isabelle Redfern hat die Fassung von Golda Barton in Darmstadt uraufgeführt.

Von Georg Kasch

3. Mai 2023. Was bedeutet es, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, die einen permanent spüren lässt, dass man nicht dazugehört? Oder wenn, dann nur als Mensch zweiter oder dritter Klasse? Wenn man ständig an Grenzen und gläserne Decken stößt, auf versteckten und offenen Rassismus? Was macht das mit begabten, jungen Frauen, wenn zu alledem noch der übliche Machismo kommt? Das hat Shida Bazyar in ihrem Roman "Drei Kameradinnen" durchgespielt, der 2021 für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Kasih erzählt darin von sich, Hani und Saya, den titelgebenden Freundinnen, die sich mal mehr, mal weniger erfolgreich in Berlin durchschlagen. Bis der ostinate rassistische Terror (Mölln, Solingen, Kassel, Köln, Hanau werden nicht genannt, aber der realen Vorbilder sind ja erschreckend viele) und seine juristische Aufarbeitung insbesondere Saya nicht mehr loslässt.

Die gut 300 Seiten des Romans hat Golda Barton, deren Stück "Sistas!" an der Berliner Volksbühne läuft und zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen ist, zu einer äußerst bühnentauglichen Spielfassung komprimiert. Kasihs Erzählerinnenperspektive bleibt erhalten. Viele Episoden löst Barton aber in Szenen mit herzhaft komischen Typen auf. Allerdings: Immer, wenn der Comic Relief besonders zupackend war, kann man sich sicher sein, dass er in real grundierte Düsternis kippt.

Den Klischee-Spieß umdrehen

"Drei Kameradinnen" ist als Roman wie als Stück wütende Literatur, das heftig und völlig nachvollziehbar gegen die Mitglieder der Dominanzgesellschaft austeilt. Regisseurin Isabelle Redfern (die auch die Berliner „Sistas!“-Uraufführung mitverantwortet) greift das in ihrer Uraufführung am Staatstheater Darmstadt szenisch durch einen einfachen Trick auf: Während die drei jungen Frauen auf Lani Tran-Ducs Bühne – links ein Sofa, rechts eine Matratze auf Euro-Paletten, hinten eine verrostete Bushaltestelle, dazu Projektionen – spätpubertäre, aber auch äußerst lässige und nahbare Figuren sind, plastisch, greifbar, werden alle Weißen zu völlig belämmerten Karikaturen: Da reiht die Frau im Jobcenter Akten im sinnfreien Kreislauf, schwäbeln die Mitbewohner:innen fies und dumm, kratzt sich der Weißbrot-Otto in der Talkshow breitbeinig den Schritt.

Man kann diesen Kniff begreifen – Redfern dreht ja nur den Klischee-Spieß um, der (zu) lange auf deutschsprachigen Bühnen Usus war – und dennoch befremdet sein von so vielen aneinander getackerten Kartoffel-Stereotypen in Großbuchstaben: Wir sind die Idioten, die nichts kapieren, selbst wenn wir erst mal sympathisch wirken oder uns bemühen. Weil wirs nicht können. Szenisch erinnert das zuweilen an politisches Kabarett von Vorgestern, macht einem – zumindest als Mitglied der Mehrheitsgesellschaft – das Zusehen zuweilen etwas mühsam.

Drei Kameradinnen C Kamil Janus 2© Kamil Janus

Wobei man vermutlich ein wenig das Unbehagen spüren soll (und es vielleicht auch erahnt), mit dem Menschen konfrontiert sind, die auf Bühnen öfter mal mit Karikaturen und Klischees ihrer selbst konfrontiert sind. Das jugendliche Zielpublikum in Heidelbergs Altem Saal scheint’s zu kriegen, das eben noch rumzappelte und nun gebannt dranbleibt an der Geschichte.

"Wenn ihr rausgehen wollt, geht raus. Raus!"

Zumal die drei jungen Frauen frisch, klar, menschlich wirken. Süheyla Ünlü als Kasih adressiert das Publikum an der Rampe direkt, stellt die entlarvenden Fragen ("Fällt euch eine Frau im deutschen Fernsehen ein, die Kopftuch trägt?!), raunzt auch mal in die offenbar tuschelnden ersten Reihen rein: "Wenn ihr rausgehen wollt, geht raus. Raus!". Mariann Yar legt Sayas Eskalationswutspur so leise, dass man beinahe drüber stolpert (und über seinen eigenen strukturellen Rasssismus, klar, das ist ja das Ziel des Abends). Und Naffie Janhas vermittelnde Hani schließt man eh schnell ins Herz.

Und dann ist die Geschichte doch stärker als die Gripstheater-Paradie-Ästhetik des Abends, der nicht alle Spieler:innen gewachsen sind. Was nachhallt, ist die Beklemmung, die Wut und auch Verzweiflung, die entstehen, wenn man in einer strukturell rassistischen Welt aufwächst. Beim Einlass findet man Zettel mit jenem verzerrenden Zeitungsbericht über einen angeblich islamistischen Terroranschlag auf den Stühlen, mit dem auch der Roman beginnt. Natürlich spürt man, dass er tendenziös ist, übertrieben. Aber völlig erfunden? So erfunden wie einst die "Döner-Morde", die sich später als NSU-Terror herausstellten.

Diese Botschaft ist die größte Stärke von Roman und Abend: Leute, macht die Augen auf!

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Drei Kameradinnen

von Shida Bazyar
Fassung von Golda Barton
 Uraufführung

Regie: Isabelle Redfern, Bühne: Lani Tran-Duc, Kostüme: Flavia Stein, Musik: Anton Berman, Choreografie: Ute Pliestermann, Dramaturgie: Maximilian Löwenstein.
Mit: Süheyla Ünlü, Mariann Yar, Naffie Janha, Jasmin-Nevin Varul, Béla Milan Uhrlau, David Zico, Stefan Schuster. 

Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

Premiere am 1. Oktober 2022

staatstheater-darmstadt.de

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