Im Ballengang

3. Mai 2023. Identitätspolitisch brisant, ansonsten ziemlich lustig: In Caren Jeß' "Die Katze Eleonore" identifiziert sich eine Immobilienmaklerin als Katze. In Simon Werdelis' Dresdner Uraufführung spielt Karina Plachetka das sensationell.

Von Falk Schreiber

Max Schwidlinskis Bühne ist faszinierend naturalistisch. Ein zurückhaltend modernes Wohnzimmer wurde da für die Uraufführung von Caren Jeß' "Die Katze Eleonore" am Staatsschauspiel Dresden gebaut, Sofa, Teppichboden, stilvoll, minimalistisch. Und in der Ecke: ein Kratzbaum. Und eine Schlafhöhle. Und ein flauschiger Flokati. Hier lebt eine Katze, allerdings wohl eine riesige Katze, weil nämlich die Katzenmöbel menschengroß sind. Sei es drum: Sofort kribbelt es dem gegen Katzenhaare allergischen Rezensenten in der Nase. Der Kratzbaum triggert anscheinend die Allergie.

Tatsächlich ist aber keine Haustier vor Ort. Oder jedenfalls: Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass kein Tier da ist. Eleonore Garazzo glaubt nur, dass sie eine Katze sei, in Wahrheit ist sie eine ziemlich erfolgreiche, ziemlich sozial isolierte Immobilienmaklerin. Denkt man. Allerdings lässt man sich identitätspolitisch schonmal aufs Glatteis führen, wenn man der Frau mittleren Alters so einfach die Fähigkeit zur Selbstidentifikation abspricht. Und so, wie Karina Plachetka diese Mensch-Katze spielt, ohne billige Katzenohr-Verkleidung, sondern mit Blicken und Bewegungen, mal ein gestreckter Muskel, mal ein Ballengang, mal eine Konzentration auf die zu erklimmende Stufe, da weiß man wirklich nicht mehr, ob man es mit Mensch oder Kreatur zu tun hat.

Von Geburt an Katze

"Die Katze Eleonore" ist ein Monolog für eine Darstellerin, die während knapp eineinhalb Stunden dem Publikum die Motivation zum Gattungswechsel erklärt. Natürlich, der Beruf war schon immer langweilig, natürlich, die Kolleg:innen waren unerträglich, aber im Grunde war Eleonore schon von Geburt an Katze, konnte das nur nicht ausleben. Jetzt aber, wo sie finanziell unabhängig ist, klappt es: Sie kündigt den Job, trägt Pelz, geht auf die Jagd. Das beschreibt Plachetka mal als Selbstgespräch, mal in Telefonaten mit ihrem Therapeuten, Herrn Wildbruch (als Stimme präsent: Holger Hübner), aber im Grunde ist der Text eine Form von Selbstvergewisserung, die gar kein Gegenüber braucht. Simon Werdelis inszeniert diesen Monolog sparsam, im Vertrauen auf die Fähigkeiten seiner Darstellerin.

Und die ist sensationell. Plachetka spreizt die Finger, sie lauert, sie gähnt. Und beschreibt: Wie sie sich nach und nach von der Menschheit entfremdet, wie sie sch dem inneren Tier annähert, wie sie sich von ihrer Mutter verabschiedet (die kurz darauf in der Demenz verschwindet). Zwischendurch erzählt diese Geschichte etwas vom Kapitalismus und von Gentrifizierung, aber kurz darauf werden diese Themen auch schon wieder egal. Eine Katze interessiert sich nicht für Politik, für Wirtschaft oder für Moral, die interessiert sich für Fressen, für Jagen und für Wohlbefinden. "Ein Wurf Junge", das wäre schön, aber da grätscht Wildbruch dazwischen: Das geht nicht.

18504 katze eleonore 006 presse fotosebastianhoppekDie Frau, die sich als Katze fühlt: Karina Plachetka   © Sebastian Hoppe

Überhaupt ist die Therapeutenstimme immer wieder gut dafür, die Geschichte auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Ob Eleonore eigentlich verstehe, dass sie keine Schnurrhaare habe, fragt Wildbruch, dass ihr Körper gar nicht der einer Katze sei? Tja. Auch der Jagderfolg ist eher mäßig: Einmal hat Eleonore einen keimigen Taubenkadaver im Maul, vor dem sie sich selbst zu ekeln scheint, ansonsten müsste sie wohl verhungern. Hätte sie als Mensch nicht vorgesorgt und eine ganze Palette Katzenfutter bestellt. Dass die Futterpackungen die Aufschrift "Caren Jeß" tragen, ist ein hübscher Ausstattungsgag, dass der Futtergestank nach einer Weile durch den Theatersaal zieht, hingegen eher unangenehm.

Zivilisatorische Schichten

Eine Auflösung bietet das Stück nicht, weder wird Eleonore tatsächlich zum Tier, noch kehrt sie zurück in den Schoß der Menschheit. Plachetka streift nur immer mehr zivilisatorische Schichten ab: Trägt die Darstellerin zu Beginn noch Hemd und Hose, spielt sie nach einer Weile im durchsichtigen Bodysuit, und am Ende steht sie ganz nackt da. Um schließlich in der Kulisse zu verschwinden: Die letzten Bilder gehören einer Catcam, Bilder, die den Blick des Tieres übernehmen, das durch den Garten streift. Irgendwann findet Eleonore die Pflanze, die ihr der Therapeut geschenkt hatte, ein paar Blüten frisst sie, ein paar stopft sie in ihre Vulva, aber: "Nicht alles ist eine Metapher", man muss nicht jede Aktion dieses Stücks mit Freud lesen. Lustig ist "Die Katze Eleonore" übrigens auch ziemlich.

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Die Katze Eleonore
von Caren Jeß
Regie: Simon Werdelis, Bühne und Kostüme: Max Schwidlinski, Video: Karolina Serafin, Licht: Jürgen Köhler, Dramaturgie: Katrin Schmitz
Mit: Karina Plachetka, Holger Hübner (Stimme)
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

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