Wenn’s nicht klappt, fang von vorne an

Das Göteborger Backa-Theater macht Theater für die ganze Familie. Hier geht es um das Glück, um existenzialistische und gesellschaftskritische Fragen. Und Quatsch mit Musik gibt es auch. 

Von Verena Großkreutz

8. Mai 2023. Fühlt sich so Glück an? Vielleicht, wenn man Lakritze mag: Man stopft sich einen nach dem anderen in den Mund, bis man dicke Backen hat und nicht mehr sprechen kann. Glück verspürt aber sicher niemand, der einem fiesen, jähzornigen Weihnachtsmann begegnet, der einen unter Brüll-Kanonaden zwingt, Geschenke einzupacken. Zwei Impro-Szenen, die in "Lyckliga i alla våra dagar" (Glücklich bis ans Ende unserer Tage), mit dem gestern das Backa Teater Göteborg im Alten Saal zu Gast war, einen recht großen Raum einnehmen.

In einer anderen Szene gilt es, die Freundin aufzuheitern, die depressiv auf ihrer Yogamatte hockt und nicht darüber reden kann, warum es ihr so schlecht geht. Die Trost-Angebote der anderen – Doseneintopf oder Pupskissengag – wollen nicht zünden, dafür der gemeinsam musizierte, anarchisch-fröhliche Blechbläsermarsch, in dem die schwer Melancholische ihre ganze angestaute Wut an einer Trommel abreagieren darf.

Knallharte Konsumgesellschaftskritik

"Lyckliga i alla våra dagar" ist eine Stückentwicklung, die das Ensemble gemeinsam mit dem Regisseur Lars Melin und der Autorin Emma Palmkvist erarbeitet hat. Es ist ein Stück für die ganze Familie (10+). Locker gereihte Szenen und Musiknummern wechseln sich auf unterhaltsame Weise ab. Auf Familientheater hat sich das Backa Teater – das 1978 als Jugendtheatersparte des Stadttheaters Göteborg gegründet wurde und heute unabhängig arbeitet – spezialisiert.

Das funktioniert hervorragend: existenzialistische und gesellschaftskritische Fragen so zu verpacken, dass es immer auch eine für Kinder unproblematisch rezipierbare Ebene gibt. So steckt im grotesk ausrastenden Nikolaus für die Älteren eben auch ein ausbeuterischer, mobbender Arbeitgeber. Und die in rasendem Sprech, dadurch lustig durchgenudelte Versteigerungsveranstaltung ist knallharte Konsumgesellschaftskritik.

Trial and Error

Und wem die Quatschebene irgendwann auf die Nerven geht, wird schon bald wieder mit überraschend originellen, ja philosophischen Gedanken entschädigt: "Wir waren glücklich, als wir keine Menschen waren." Zumindest ist dies das Ergebnis einer langen Gedankenkette, die mit der Feststellung beginnt, dass wir ohne Social media und Handy viel glücklichere Menschen gewesen seien, und die zurückführt bis ins Urmeer und seine Einzeller – während auf der Bühne ein Saugroboter fröhlich seine Runden dreht. Was die vier Schauspieler:innen nicht davon abhält, sich auf den Boden zu werfen und als Seehundfamilie über die Bühne zu robben. Glück kann eben auch bedeuten, sich in eine andere Existenzform hineindenken zu können.

"Ein Projekt, das zum Scheitern verurteilt ist", heißt es im ironisierenden Untertitel des Glückssuche-Stücks. Sein Glück zu finden, ist natürlich die anspruchsvollste Aufgabe der Welt. Funktioniert vielleicht über Trial and Error, ist eine der Antworten, die das Stück gibt. Auch in der Liebe – ob zwei Mädchen sich küssen, zwei Jungen oder ob gemischt geknutscht wird. Ob du zu dritt sein möchtest oder mit deinen Fischen allein. Probier’s einfach aus, und wenn es nicht klappt, fang von vorne an. Das ist die Botschaft. Und weil das ganze Stück ein Experiment ist, tragen Karin Andersson, Andreas Ferrada-Noli, Ylva Gallon, Ulf Rönnerstrand wohl auch Arbeitskitteloutfit – freilich in satten Farben wie rot, grün, blau, pink. Oder stecken sie vielmehr in Anstaltskleidung und die Bühne ist am Ende eine Nervenklinik?

Witzige, originell arrangierte Songs

Jedenfalls spielt das präzis-komisch und quirlig aufspielende Quartett zwischen holzfarbigen, unterschiedlich dicken Säulen, deren Oberfläche geriffelt ist wie Wellpappe. Rechts ein kleines Aquarium, links die Band, die auch außerhalb des Theaters als Duo Glitterfittan aktiv ist und stilistisch Jazz, Folk und Pop mischt: Agnes Åhlund, die singt, elektronische Zither und ab und zu die Tuba spielt, und Hilda Ekstedt, die singt und ansonsten auf dem Baritonsaxophon und der Klarinette zu hören ist.

Sie haben die Originalmusik zum Stück geschrieben, die Form damit maßgeblich mitbestimmt: durch witzige, doppelbödige, originell arrangierte Songs, in denen eine Menge Ratschläge und Handlungsanweisungen vertont werden: "Werde deinen Energiedieb los", "Iß eine Orange, und denk an nichts anderes" oder "Um die Lebensplanung mach dir keine Sorgen". Vor allem aber haben die beiden die Befehlsgewalt über das, was auf der Bühne vor sich geht. Sie greifen ein, korrigieren das Verhalten der Spielenden. Ein beunruhigender Aspekt. Also doch eine Nervenklink?

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Lyckliga i alla våra dagar (Glücklich bis ans Ende unserer Tage)
von Emma Palmkvist
Schwedisch mit deutschen Übertiteln
Regie: Lars Melin, Musik: Hilda Ekstedt, Agnes Åhlund, Bühne und Kostüme: Maja Kall, Lichtdesign: Christofer W. Fogelberg, Dramaturgie: Stefan Åkesson
Mit: Karin Andersson, Andreas Ferrada-Noli, Ylva Gallon, Ulf Rönnerstrand, Agnes Åhlund, Hilda Ekstedt.
Uraufführung: 24. Februar 2023
Dauer: 1 Stunde, keine Pause Gastspiel Backa Teater Göteborg

www.stadsteatern.goteborg.se/backa-teater

 

Im Videblog spricht Sarah Kailuweit mit dem Regisseur und künstlerischen Leiter des Backa-Theaters Lars Melin über den besonderen Stellenwert von Kinder- und Jugendtheater in Schweden.

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